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Interview mit Orphaned Land (20.04.2012)

Orphaned Land

Kobi Farhi, der Sänger von ORPHANED LAND, hat in Zusammenarbeit mit Century Media den "Oriental Metal"-Sampler zusammengestellt. Wir befragten Kobi zu dem Sampler, zum Genre im Allgemeinen und zu politischen Themen, die damit zusammenhängen.

Hallo Kobi. Wie geht es dir und was machst du gerade, abgesehen vom Beantworten meiner Fragen? Woran arbeitest du im Moment?

Hallo! Alles bestens, in ein paar Tagen werden wir mit ORPHANED LAND nach Brasilien aufbrechen, um dort auf einem großen Festival zu spielen. Wir haben außerdem mit der Arbeit am neuen Album angefangen und es läuft super. Außerdem promoten wir noch die DVD, die wir vor ein paar Monaten veröffentlicht haben. Wer sie noch nicht gesehen hat, sollte das schleunigst nachholen, darauf sieht man eine der besten Metalshows aller Zeiten. Überzeugt euch selber davon. Außerdem arbeite ich noch an meinem Buch, das eine Mischung aus Biografie, Tagebuch und persönlichen Notizen wird. Ich hoffe, damit dieses Jahr fertig zu werden.

"Oriental Metal" CoverDu hast den "Oriental Metal"-Sampler für Century Media zusammengestellt. Wessen Idee war das?

Das war meine eigene Idee. Ich denke, dass wir mit ORPHANED LAND seit ein paar Jahren die führende Band in der Oriental-Metal-Szene sind und wir haben immer andere Bands aus diesem Genre unterstützt. Ich denke auch, dass es Zeit ist, dass dieses Genre aufsteigt. Die Leute kennen schwedischen Death Metal, norwegischen Black Metal oder finnischen Folk Metal zur Genüge, also ist es die richtige Zeit dafür, Oriental Metal auf ein neues Level zu hieven. Ich bin froh, dass Century Media mutig und kreativ genug sind, um mir dabei zu helfen. Jetzt müssen die Leute die Sache unterstützen und sich den Sampler zulegen, dann werde ich eine zweite Ausgabe machen und der weltweiten Metalszene neue Bands aus unserer Region vorstellen.

Unter welchen Aspekten hast du die Bands und Songs für den Sampler ausgewählt?

Die Bands sollten Oriental Metal oder Rock spielen und Elemente des mittleren Ostens in ihrer Musik haben. Außerdem ist es wichtig, dass die Songs anständig produziert sind, damit sie beim Hörer einen positiven Eindruck hinterlassen.

Und welche Bands aus dem Genre sind deine Favoriten und warum?

Auf jeden Fall all die Bands, die auch auf meinem Sampler vertreten sind. Nimm zum Beispiel SAND AURA, die den Sampler abschließen. Die Jungs sind aus Ägypten und haben ein Cover einer jüdischen Melodie gemacht, was angesichts unserer nahöstlichen Realität einfach toll ist. KHALAS sind eine arabisch-israelische / palästinensische Band, die mächtig Arsch tritt und auf Arabisch singt und Bands wie MYRATH, ARKAN, AMASEFFER und PENTAGRAM zeigen einem die ganze Schönheit dieser Szene und nehmen den Hörer mit auf eine Reise in unseren Osten. Das Beste an der Sache ist aber, dass wir trotz der politischen Probleme, religiösen Kriege und Konflikte in unserer Region mit diesem Sampler und der Freundschaft zwischen den Bands zeigen, dass eine Koexistenz in Bezug auf den Metal möglich und einfach ist.

Du sprichst an, dass die Oriental-Metal-Szene von der Vereinigung von Freundschaft und Brüderlichkeit unter einer Flagge charakterisiert wird, was ein sehr positiver Aspekt ist. In Hinblick auf die Tatsache, dass Anhänger des muslimischen Glaubens oft – und das ist ohne Vorurteil zu sehen – in gewisser Hinsicht engstirnig sind, könnte ich mir vorstellen, dass es auch Hardliner gibt, die Metal mit orientalischen Elementen spielen, aber den Gedanken des unter einer Flagge Stehens nicht unterstützen. Ist diese Annahme richtig? Kennst du solche Bands?

In 99% der Fälle, die ich kenne, habe ich so etwas nicht gesehen. Es gibt aber natürlich auch Metalheads, die gegen diese Koexistenz sind und die auch das Recht haben, dagegen zu protestieren. Wir leben in einer freien Welt, aber um ehrlich zu sein denke ich, dass diese Leute darüber hinwegkommen, weil wir immer und immer wieder beweisen werden, dass die Musik die beste Religion von allen ist. Und dass es besser ist, Freundschaft zu schließen, als Jahr für Jahr in diesem blutigen Kreislauf zu stecken. Metal wurde schon immer von Leuten, die außerhalb stehen, als gewalttätige Bewegung stereotypisiert, tatsächlich ist aber das Gegenteil wahr. Ich kann mit Stolz behaupten, dass wenn jemand im blutigen Nahen Osten Frieden geschlossen hat, es vor allen anderen die Metalheads waren. Und die Metalheads der ganzen Welt sollen das wissen und sich dessen bewusst sein und ich denke auch, dass sie stolz darauf sein sollten.

Ein anderer Gedanke, den ich und sicherlich auch viele andere Leute haben, ist, dass die Idee des Zusammenhalts unter der Flagge des Metals zwar eine gute, aber letztlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, weil die Probleme, vor allem die aus religiösen Gründen, zu groß sind, als dass enthusiastische Musiker sie lösen könnten. Was erwiderst du darauf?

Orphaned LandIch habe nie beansprucht, dass wir die Welt ändern oder Probleme lösen könnten, aber wir können trotzdem Dinge tun, die immer noch wichtig sind. Wir können zeigen, dass es andere Pfade gibt, die wir beschreiten können. Wir können die Leute an Hoffnung erinnern. Unsere Bauchtänzerin stammt aus dem Libanon, die Band, die für unsere DVD-Releaseshow den Support gemacht hat, war eine palästinensische Band und wir sind mit Bands aus Tunesien, Algerien und Jordanien auf Tour gegangen. Und wir sind natürlich aus Israel. Wenn die Leute denken, dass es keine Hoffnung mehr gäbe, kann ihnen unsere Geschichte zeigen, dass es anders ist. Und mit ORPHANED LAND haben wir jede Menge Fans in arabischen und muslimischen Ländern – wie bizarr ist das denn? Wenn wir in der Türkei spielen, kommen Leute aus dem Iran, aus Syrien, Ägypten und dem Libanon. Ich denke wirklich, dass die Politiker sich hinsetzen und sich ein Beispiel an uns nehmen sollten. Meine Erfahrungen mit der Politik haben aber gezeigt, dass das nicht passieren wird.

Ich habe gelesen, dass ORPHANED LAND vom türkischen Premierminister mit einem Friedenspreis ausgezeichnet wurden. Was war deine erste Reaktion, als du davon gehört hast? Warst du in gewisser Weise stolz? Und ist das ein Zeichen dafür, dass eure Arbeit eben doch mehr als der Tropfen auf dem heißen Stein ist?

Es war ein Berater des Ministerpräsidenten, der uns diesen Preis gegeben hat, er ist auch einer der Gründer der Partei, die das Land beherrscht und managet. Wir waren sehr geschmeichelt und das gab uns die Hoffnung, dass ein paar Politiker wissen, wie man die Bemühungen um den Frieden wertschätzt. Die Türkei und Israel stehen seit Jahren in einer politischen Auseinandersetzung, selbst unsere Botschafter sind nicht mehr dort und so wurden ORPHANED LAND die einzigen israelischen Botschafter. Jedes Mal wenn wir dort hinkommen, werden wir wie Könige akzeptiert und die Türkei ist so etwas wie unsere zweite Heimat geworden. Das ist in jeder Hinsicht verrückt, dass die einzige Verbindung, die Israel zur muslimischen Welt hat, eine Metalband ist.

Ich würde gerne mit dir über ein paar aktuelle politische Themen sprechen, wenn das in Ordnung für dich ist. Hast du von dem Skandal gehört, den der deutsche Schriftsteller Günther Grass, der auch Nobelpreisträger für Literatur ist, verursacht hat? Er hat ein sehr Israel-kritisches Gedicht verfasst und wurde daraufhin von der israelischen Regierung zur unerwünschten Person erklärt und darf nicht mehr in das Land einreisen. Trotz allem betont er, nicht anti-semitisch zu sein. Was denkst du darüber? Und ist es wirklich total falsch, was er in dem Gedicht schreibt oder steht da auch etwas Wahres drin?

Ich denke, dass er vor allem großartige PR für sich selbst gemacht hat. Ich glaube keinen Menschen, die Außenstehende sind und denken, sie würden eine andere Region als ihre eigene verstehen. Zum Beispiel denke ich auch, dass ORPHANED LAND sich nicht zu dem Konflikt zwischen Türken und Kurden äußern sollten, außer ich würde Türke oder Kurde werden und länger als nur eine Zeitlang mit ihnen zusammenleben. Wäre Grass in den Nahen Osten gezogen und dort für 20 Jahre gelebt, dürfte er sich sein Bild von der Situation machen, so wie er sie sieht. Ich denke nicht, dass er die Situation im Nahen Osten besser versteht, als wie ich die Situation in Mosambik verstehe und deshalb schreibe ich keine Gedichte darüber. Ich schreibe Gedichte über meine Heimat und meine Region. Ich denke also, dass er einen Fehler gemacht hat und denke auch, dass die israelische Regierung einen Fehler damit gemacht hat, soviel Wirbel darum zu veranstalten. Ich wünschte dass unsere Geschichte vom Zusammenbringen von Moslems und Juden so viel Wirbel machen würde, sie wäre es jedenfalls mehr wert.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass ein deutscher Politiker, Schriftsteller oder Bürger allgemein nichts, was Israel bzw. seine Politiker machen, kritisieren darf. Zumindest scheint der Zentralrat der Juden hier in Deutschland sehr dünnhäutig zu sein, wenn es um Kritik an israelischer Politik geht. Was denkst du über diesen Eindruck?

Es ist natürlich Tatsache, dass Deutschland und Israel eine sehr komplexe Geschichte haben. Aufgrund dessen, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, kann es für Juden natürlich schwer sein, Kritik von Deutschen zu hören. Ich wiederhole mich da, wenn ich sage, dass es eine freie Welt ist, in der jeder sagen kann, was immer er möchte. Ich denke aber auch, dass man das gesamte Bild sehen sollte, um Kritik üben zu können. Wie gesagt, wenn Grass einen großen Teil seines Lebens im Nahen Osten verbracht hätte, könnte ich sagen, dass ich übereinstimme oder anderer Meinung bin. Aber ich würde auch sagen, dass er seine eigenen Erfahrungen gemacht hat, die zu seiner Meinung geführt haben. Ich denke, es ist ein großes Problem in der Welt, dass die Leute zu beschäftigt damit sind, andere zu kritisieren statt sich selbst. Wir sind alle keine Heiligen, alle Nationen begehen die gleichen Sünden und haben die gleichen Probleme von Kriegen und Blutvergießen. Wir sollten lernen, ehrlich in uns selbst zu blicken statt andere zu verurteilen.

Ein anderes aktuelle Thema sind die Ereignisse in Syrien. Was ich nicht verstehe ist Folgendes: als Muammar al-Gaddafi die Rebellen und Aufständischen angegriffen hat, hat es nicht lang gedauert, bis die Vereinten Nationen militärisches Eingreifen erlaubt haben, um das Blutvergießen zu beenden. Es scheint aber, als hätte sich lange niemand darum gekümmert, dass Assad die Rebellen in Syrien abschlachtet und niedermetzelt und niemand über militärisches Eingreifen nachgedacht hat. Warum ist das so? Sind es wirtschaftliche Gründe? Syrien hat ja nicht so viel Öl wie Libyen, also besteht weniger Gefahr für die Weltwirtschaft, also gibt es weniger Grund einzugreifen?

Meiner Meinung nach ist das ganz einfach. Syriens Regime hat starke Unterstützung aus Russland und China, also wurde gegen jede Entscheidung der Vereinten Nationen von diesen Ländern das Veto eingelegt. Libyen hatte dieses Privileg nicht und niemand hat das Regime dort dermaßen unterstützt. Es ist eine beschissene Welt mein Freund und manchmal weiß ich wirklich nicht, wie zur Hölle man eine schöne neue Welt aufbauen soll. Man denke nur mal an Afrika, das ist das meistvergessene Land überhaupt. Dort sieht man 7-jährige Kinder, die Soldaten mit Gewehren sind. Die Welt ist ein verrückter Ort, sehr verrückt.

Kobi FarhiViele Leute haben die Hoffnung, dass der Arabische Frühling mehr Demokratie in die Länder bringt, in denen diese mehr oder weniger friedliche Revolution stattgefunden hat. Was denkst du? Gibt es wirklich die Chance für mehr Demokratie in diesen Ländern und was muss passieren, um (mehr) Demokratie möglich zu machen?

Soziale Netzwerke und das Internet haben dem Einzelnen auf viele Arten viel mehr Kraft gegeben. Man muss sich doch nur den Arabischen Frühling oder die sozialen Proteste, die in vielen Ländern letztes Jahr stattgefunden haben und in diesem Sommer sicher wieder stattfinden werden, anschauen. Ich weiß aber nicht viel über den Arabischen Frühling. Ich denke diese Länder sollten sich selbst beibringen, was Demokratie und Freiheit bedeuten. Sie sind unerfahren und meine größte Sorge ist, dass extreme Regime die Macht übernehmen. Vor der Revolution war der Iran ein sehr aufgeschlossenes, freies Land. Heutzutage ist Rockmusik im Iran gegen das Gesetz und viele schreckliche Dinge passieren dort (Er meint die Morde an Anhängern der Emo-Bewegung – d. Verf.). Die Leute wollten aufbegehren, aber das Regime hat sie ruhig gestellt. Mein Herzenswunsch für alle arabischen Länder ist, dass sie Frieden und Gerechtigkeit finden. Die Zeit wird es zeigen.

Das dritte Thema, über das ich sprechen möchte, ist der Konflikt zwischen Israel und dem Iran. Hast du Angst vor einem möglichen Krieg und wie würdest du die Situation einschätzen? Sitzt ihr auf einem Pulverfass, das in nächster Zeit explodieren könnte oder erwartest du eher diplomatische oder politische Lösungen für diesen Konflikt?

Aufgrund meiner jüdischen Abstammung habe ich vor jedem Angst, der sagt, dass Israel ausradiert werden sollte. Wir sind von Extremisten umgeben, die unsere Flagge verbrennen und uns in dem Moment, in dem sie die Möglichkeit bekommen, ins Meer werfen. Und ja, ich habe Angst vor diesen Leuten und will nicht, dass sie Atomwaffen haben. I liebe die Iraner und ich liebe die Araber, ich liebe die Palästinenser. Die einzige Lösung wäre ein Wunder in der Form, dass in all diesen Ländern große politische Anführer kommen. Ich sehe das nicht kommen, aber ich behalte den Glauben und die Hoffnung und zeige weiterhin mit meiner Band und unseren Freunden aus anderen Bands, dass Frieden möglich ist. Als wir in Istanbul gespielt haben, kamen 50 Fans aus dem Iran um uns zu sehen, ihr hättet die Liebe und die Freundschaft, die dort geherrscht hat, sehen sollen. Wenn wir das hinbekommen,

Vielen Dank für das ausführliche Beantworten meiner Fragen und dir und deiner Band alles Gute. Ich denke, dass eine Band wie ORPHANED LAND eine wirkliche Bereicherung für die Metalszene ist, nicht nur aus musikalischer Sicht sondern auch wegen dem wofür ihr steht.

Vielen Dank für deine guten Worte und für die Möglichkeit, meine Meinung vor euren Lesern auszubreiten. Und an die Leser: bitte unterstützt ORPHANED LAND und kauft unsere DVD, sie ist eine tolle Betrachtung der nahöstlichen Metalszene. Und unterstützt bitte auch den "Oriental Metal" Sampler und helft uns, die Zukunft der Metalszene zu formen.

Dem kommen wir gerne nach, indem wir in Zusammenarbeit mit Century Media drei Exemplare von "Oriental Metal" verlosen. Alle Infos dazu gibt es hier. Wer Kobi Farhi und seiner Arbeit folgen will, kann dies unter folgenden Links machen:

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Andreas Schulz (Info)
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