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Interview mit Michael J.J. Kogler (27.09.2023)

Michael J.J. Kogler

Im Black Metal hinlänglich bekannte bis tradierte Motive verdichtet Michael J.J. Kogler in seinem Roman-Debüt "Die Asche vergangener Winter" u.a. mit kritischen Reflektionen der Corona-Krisenjahre zu einer Erzählung allzu menschlichen Träumens und Scheiterns. Kogler setzt bei seiner autobiographisch geprägten Milieu- und Charakterstudie eigene Akzente, die zwar vielleicht dem einen oder anderen Black-Metal-Traditionalisten übel aufstoßen mögen, jedoch zweifelsohne die chaotische Gefühlswelt, innere Zerrissenheit bis Leere nicht nur der Hauptfigur authentisch in Worte fassen. Im Interview stellt der musikalisch u.a. bei Harakiri for the Sky und Karg aktive Autor auch die ermutigende Kraft zum Beispiel von Post Metal heraus.

Hallo Michael, schön, dass Du Dir Zeit nimmst, um über Deine Erzählung "Die Asche vergangener Winter" zu sprechen, die ich zufällig entdeckt und mit wachsendem Interesse gelesen habe, bis ich das Buch gar nicht mehr zur Seite legen wollte. Es zeichnet sich zwar von Anfang an ab, dass es mit der Hauptfigur Tal kein gutes Ende nehmen wird, doch die Spirale von Eskapaden, Hoffnungsschimmern und Abstürzen hat etwas merkwürdig Fesselndes. Was hat Dich gereizt, den Erzählstrang auf diese Weise zu flechten?

Danke für die netten Worte. Die Erzählung ist bis auf die Rückblenden auf Tals Kindheit und Jugend, welche schildern, wie Tal zu jenem Menschen wurde, der er ist, relativ chronologisch gehalten, wobei der Fokus auf den letzten Monaten gerichtet ist. Der überwiegende Teil des Buches ist autobiografisch und bis auf das letzte Kapitel "Houses We Die In" fast genau so passiert. Das Ende des Buches schildert dabei, was passieren hätte können, hätte der Protagonist sich nicht in letzter Sekunde anders entschieden. Der Roman ist dabei absichtlich aus der Sichtweise von Tals bestem Freund Jannis gewählt, da es das Ganze meiner Meinung nach authentischer macht, als aus der Ich-Perspektive, da es sich beim Lesen sonst wie eine Autobiografie angefühlt hätte. Und ich weiß auch, das "Die Asche vergangener Winter" kein "Großes Werk" in dem Sinn geworden ist, aber es ist ehrlich und geradeaus, und ich denke, dass man sich in dem Charakter Tals, den ich als eine Art "Anti-Hero" bezeichnen würde, in vielen Situationen gut widererkennen kann.

Du bist selbst Musiker und Songwriter, und neben vielen anderen Zitaten stellst Du einigen Kapiteln auch Songtext-Fragmente Deiner Bands voran, zudem ist die Erzählung von Anekdoten nur so gespickt. Da liegt natürlich die Frage auf der Hand, wie stark der Roman auf Deinen Erlebnissen als tourender – sprich: mit den Schattenseiten und Abgründen der Black-Metal-Welt vertrauter – Musiker gründet, und wie sehr manche Erlebnisse quasi danach schrien, literarisch verwertet zu werden?

Natürlich hatten die Erlebnisse auf Tour oder generell in der Musikwelt großen Einfluss auf den Roman. Und wie du sagst, neben den ganzen lustigen und feucht-fröhlichen Geschichten gibt es natürlich auch Schattenseiten. Ich habe in meinem Roman versucht, beide Seiten möglichst objektiv darzustellen, da keine ohne die andere auskommt. Generell habe ich in den letzten, sagen wir, zehn Jahren auf Tour hauptsächlich gute Dinge erlebt. Die Black-Metal-Szene ist mit den frühen 2010er Jahren um einiges offener und weniger engstirnig geworden, auch wenn es natürlich auch dort viele "alte Männer" gibt, die diese Entwicklung eher mit Argwohn betrachten, sich auf alte Werte eingeschworen haben und so nostalgisch der alten Zeit nachtrauern. Was das Touren generell betrifft, so haben ich seit jeher ein relativ zwiespältiges Verhältnis. Was nämlich viele vergessen, ist, dass Konzerte und Touren leider nicht nur mit dem Auftritt an sich und der Party danach verbunden sind, sondern oft auch eine lange An- und Abreise mit sich bringen. Flughäfen sind für mich spätestens seit Corona ein wahrer Alptraum, weil nichts so funktioniert wie es sollte. Bei mir verursacht diese Ungewissheit einen unglaublichen Stress, weshalb ich oft schon ein paar Tage vor der Abreise Herzrasen habe und in der Nacht davor sowieso kein Auge zumache. Zudem bin ich mittlerweile verheiratet und bin deshalb ungern länger als ein paar Tage fort von Zuhause. Aber das gehört wohl einfach dazu, die ständigen Abschiede, die Sehnsucht und die Freude auf das Nachhause-Kommen, sowie auf der anderen Seite aber doch spannende Geschichten zu erleben, coole Städte zu besuchen und eine gute Zeit mit Leuten zu haben, die teilweise oft eher Familie sind als lediglich Bandmitglieder. 

Tal zieht sich in eine Hütte in den Bergen zurück, um dort langsam zu verschwinden. Nun ist die Flucht aus der Stadt in die Berge ein zentrales Black-Metal-Motiv, das z.B. kürzlich von Gràb auf ihrem Konzeptalbum "Zeitlang" vertont wurde, dessen Misanthropie stärker an Knut Hamsuns "Pan" erinnert als Deine Geschichte. In selbiger klingen aller Selbstzerstörung zum Trotz eben auch Empathie und Hin- und Her-Gerissenheit an. War es Dir wichtig, die Feindseligkeit des ursprünglichen Black Metal zu umschiffen, weil dieser unreife Hass auf nahezu alles und jeden schnell ins Lächerliche entgleiten kann?

Gràbs Album "Zeitlang" ist in meinen Augen eines der besten deutschen Black-Metal-Alben der letzten Jahre, hatte aber inhaltlich keinen Einfluss auf "Die Asche vergangener Winter" oder das aktuelle Karg-Album. Soweit ich weiß, geht es in "Zeitlang" auch eher um einen alten Mann und seine schlussendliche Begegnung mit dem Tod, wohingegen Tal den Tod Zeit seines Lebens verehrt, herausfordert und sich wünscht, endlich von ihm geholt zu werden. Gleichzeit wünscht er sich aber auch, einfach nur glücklich zu sein, und ist, wie du schon sagst, ständig zwischen Todessehnsucht und dem Hunger nach Leben hin- und hergerissen. Die Flucht in die Berge hat in Tals Fall deshalb weniger mit Misanthropie zu tun, sondern eher mit einer Flucht vor der Realität und der Vergangenheit, obwohl er sich schlussendlich in der Stille der Einsamkeit umso mehr mit selbiger konfrontiert fühlt und zu guter Letzt an ihr zugrunde geht, und immer mehr in den dunklen Ecken seiner Hütte zu verschwinden scheint, um irgendwann nur noch ein Schatten seiner Selbst zu sein. Der Feindseligkeit des ursprünglichen Black Metal, oder wie du es nennst, bin ich dabei nicht bewusst aus dem Weg gegangen, dieser Punkt hat für mich einfach nur nichts mit mir selbst oder der Geschichte Tals gemein. Für mich war Black Metal inhaltlich immer eher mit Themen wie Entfremdung, Sehnsucht, Weltschmerz oder in meinem Fall auch mit zerbrochenen Beziehungen, verlorener Liebe und der generellen menschlichen Tragödie verknüpft als mit bloßer Misanthropie, Hass oder im schlimmsten Fall Satanismus. Nicht, weil diese Themen keine Daseinsberechtigung haben, sondern weil sie in meinem Leben schlicht keine Rolle spielen.

Gibt es ein Album einer Deiner Bands, das für Dich mit "Die Asche vergangener Winter" besonders verbunden ist?

Ja, das aktuelle Karg-Album "Resignation" ist eng mit den letzten Monaten Tals und seiner verlorenen Liebe verbunden. Aber auch "Weltenasche" und "Trauma" von Harakiri For The Sky, die beide im Jahr 2016 erschienen, sind eng mit dem Freitod Finns verbunden, der in "Die Asche vergangener Winter" eine große Rolle spielt.

Vor geraumer Weile hatte ich das Vergnügen, Lehramt-Studierenden Einblicke in den Black Metal mit Fokus auf "Suicidal Black Metal" zu geben, und dabei begegnete mir viel Unverständnis für die Selbstverständlichkeit von blutigen Inszenierungen, frei nach dem Motto "die sind doch alle krank". Erlebst Du ähnliche Reaktionen auf die Schilderungen in Deinem Buch, oder gab es bereits auch Szene-fremde Leserinnen oder Leser, die durch die Lektüre ein gewisses Verständnis für den ihnen bis dahin unzugänglichen "Krach" entwickelt haben?

Natürlich stößt man mit blutigen Inszenierungen oft auf Unverständnis. Ich habe Performances ähnlich wie jene von Shining und Co. aber nie befremdlich empfunden. Ich finde es nicht schlimm oder abartig, wenn sich jemand schneidet oder Zigaretten auf der Hand ausdämpft. Ob nun im Privaten oder auf der Bühne. Damit habe ich selbst genug Erfahrung. Ich bin bipolar und habe selbst immer wieder Phasen, in denen ich mich selbst verletze, wenn dies jedoch mit dem Alter weniger wird. Ich kann jedoch gut damit umgehen, und auch mein Umfeld ist diesbezüglich recht tolerant, obwohl sich meine Familie und Freunde natürlich deshalb Sorgen machen. Ich habe das Ganze aber gut im Griff. Von Szene-fremden Leserinnen, die durch mein Buch ihr Interesse an Post Rock oder Black Metal entdeckt haben, habe ich aber noch nichts mitbekommen, aber vielleicht wird das ja noch.

Tal sucht wiederholt die Psychiatrie auf, wo ihm in akuter Not geholfen werden kann, Symptome abzumildern, ohne dass seine dahinterliegende facettenreiche, sensible Persönlichkeit mitsamt ihrer Neigung zum Suizidalen eine Würdigung erfährt, auf der vielleicht eine wirksamere Therapie gründen könnte. Ich halte diese Darstellung für so authentisch wie tragisch, und die Lektüre hat mich an Menschen erinnert, die trotz Psychiatrie-Aufenthalten ihr Leben beendet haben. Welche Einblicke hast Du selbst in diese Bereiche und nimmst Du dabei eher Hoffnungsvolles oder Deprimierendes wahr?

Ich war bisher nur einmal stationär in einer Psychiatrie, und habe zugesehen, dass ich da so schnell wie möglich wieder rauskomme, weil Krankenhäuser und Ähnliches mich extrem klaustrophobisch machen, und ich dort so wenig Zeit wie möglich verbringen möchte. Vor allem Psychiatrien sind dabei äußerst deprimierend, da es den meisten anderen Patienten meist noch schlechter geht als einem selbst. Man sieht dort jede Menge Menschen, die wirklich jede Hoffnung verloren haben. Auch Gesprächstherapien helfen leider nicht jedem, und so macht deine Aussage, dass es durchaus vorkommt, dass Menschen die ausreichend medikamentiert und in Therapie sind, trotzdem ihr Leben beenden, sicherlich Sinn. Mir persönlich hat eine Gesprächstherapie nie wirklich viel gebracht, ich bin jedoch der Meinung, dass das jeder für sich selbst entscheiden sollte, ob man dafür offen ist und diesen Schritt gehen möchte.

Deine Erzählung ist durchwirkt von Begeisterung für Musik, sei es nun Black Metal, Hardcore oder Post Rock. Vor rund zwölf Jahren hatte mich die Entdeckung von Bands wie z.B. God is an Astronaut umgehauen, denn in deren Musik flutet für mich etwas Positives, Erhebendes – ein starker Kontrast zu vielem im Black Metal. Wie wichtig ist Dir selbst derweil eine musikalische Vielfalt und inwiefern erlebst Du sie als therapeutisch?

Ich finde das extrem cool, dass du an dieser Stelle ausgerechnet God is an Astronaut erwähnst. Ich bin auf die Band etwa im Sommer 2009 gestoßen, war bereits etwas von dem Standard-Black-Metal gelangweilt, den ich die Jahre zuvor überwiegend gehört hatte, und machte gerade eine meiner größten Lebenskrisen durch. Das ist, warum ich gerne und oft sage: "Post Rock saved my life." Ihr Album "All Is Violent, All Is Bright" hat mir durch die schlimmsten Phasen meines Lebens geholfen, genauso wie etwa Explosion in the Sky‘s "All Of A Sudden I Miss Everyone", This Will Destroy You’s Mini-Album "Young Mountain", Gifts from Enola’s "Loyal Eyes Betrayed The Mind" und vor allem If these Trees could talk’s "Above The Earth, Below The Sky". Spätestens seit dieser Phase hatte Post Rock einen sehr großen Einfluss auf mein Leben und mein musikalisches Schaffen. Es sind die traurigen Songs, die mir Hoffnung geben, so absurd das vielleicht für einige Leute klingen mag, aber melancholische und depressive Musik hat mich schon immer aufgebaut, sonst hätte ich wohl kaum soviel Freude an all diesen Genres. Viele Post Rock, Black Metal oder Hardcore-Songs sind für mich deshalb wie eine Art Katharsis und deshalb natürlich eine sehr, sehr wichtige Konstante in meinem Leben. Ich denke, das wird sich auch nicht mehr ändern.

Dein Einstand als Roman-Autor ist zweifelsohne gelungen. Gibt es bereits Ideen für ein weiteres Buch?

Ja, die gibt es. Wann ich dafür Zeit finden werde, und wie das Ganze schlussendlich aussehen wird, steht jedoch noch in den Sternen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass dies nicht mein einziger Roman bleiben wird. Danke für die Blumen, das Interview war sehr spannend und hat wirklich Spaß gemacht.

Danke, dass Du Dir die Zeit für das Interview genommen hast, und alles Gute!

Vielen Dank! Stay Gold.

Thor Joakimsson (Info)
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