Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit Caltrop (02.03.2013)

Caltrop

Murat Dirlik, Bassist und Sänger der enigmatischen Amerikaner, diktierte uns ein paar Sätze, die bestätigen, dass hinter seiner Band keine Handlampen stecken, sondern flammende Musiker, die gerne lange Schatten werfen würden, wenn sie die Mittel dazu hätten. Gitarristen-Kollege Sam stößt ins gleiche Horn. (Foto: Valerie Paulsgrove)

Erzähl mal, weshalb CALTROP so klingen, wie sie es tun.

Murat: Die Band besteht seit 2004, in dieser Besetzung seit 2005. Ich hoffe, dass wir etwas Besonderes darstellen, weil wir uns selbst als ehrliche Musiker betrachten, die ihr Innenleben nach außen kehren mit dem was sie tun. Wir äffen niemanden nach oder tun nur so, als ob wir fühlten, wie wir klingen. Die Vokabel "organisch", die einmal jemand mit uns in Verbindung brachte, halte ich für sehr treffend. Unsere Musik wächst und atmet von selbst, löst sich von den Beiträgen der einzelnen Instrumentalisten zu etwas Eigenständigem auf. Ferner versuchen wir, die Welt so zu beschreiben, wie sie sich vor uns auftut, und hoffen, dem einigermaßen gerecht zu werden. Wer einzigartige Musik sucht, wird bei uns fündig, wobei es natürlich auch andere Bands gibt, die das zu Recht für sich beanspruchen. Sie sind unsere Brüder im Geiste.

Konkrete Einflüsse habt ihr nicht?

Murat: Ich könnte keine anderen Künstler nenne. Songwriting ist ein intimer Vorgang, und ich finde es vermessen, mich mit anderen Musikern vergleichen zu müssen, was dies betrifft.

Was mir zuallererst auffiel, als ich die Texte las, war jener zu "Birdsong".

Murat: Sam schrieb den Text, aber ich kann dir zumindest etwas über den "form and abandon"-Part sagen. Sie fassen den Inhalt des Stücks zusammen, das im Grunde genommen eine Reflexion über Leben und Tod darstellt. Indem ich meine Sterblichkeit und die Aufgabe aller materiellen Dinge durchdenke, schöpfe ich Trost aus der Vorstellung, meinen Körper der Erde und dem Wind zurückzugeben, nicht zu vergessen den Tieren, die sich an mir laben werden, wenn ich tot bin. Für mich stellt dies eine Dauerhaftigkeit und Transzendenz dar, die alle menschlichen Bedürfnisse überragt, ihr Bewusstsein auf ewig zu erhalten, auf welche Weise auch immer. In diesem losgelösten Zustand liegt ein derart allumfassendes Wissen begründet, dass unser Gegenwartsleben davor nichtig anmutet. Für mich ist dies beileibe kein negatives oder morbides Konzept, sondern etwas Feierliches. Das Leben ist schön, aber vielleicht stellt der Tod nur ein Sprungbrett in ein unbeschränktes und unbegrenztes Leben dar. Nun ja, ich höre mich immer noch ein wenig unwirsch an, wenn ich das anspreche, aber ich will nicht predigen, sondern beobachte nur.

Sam: Im Intro versuchte ich, einen bei uns heimischen Sperling zu imitieren. Der Text bekundet wie angedeutet Respekt vor der Natur sowie den Wunsch, mit den Vögeln davonzufliegen, sowohl körperlich im eigentlichen Sinn als auch in Gedanken.

Kommen wir zu "Blessed" ...

Es sollte eigentlich eine Ode an die Spinne werden, ein für mich faszinierendes Tier: furchteinflößend und doch zerbrechlich. Ich betrachtete eine aus nächster Nähe, sodass ich mich selbst und den blauen Himmel hinter mir in ihren Augen sah. Es war eine schlichte Springspinne in meinem Garten, und dabei kam ich natürlich wieder einmal ins Grübeln. Der Song ist ein Tribut an die Weisheit der Natur, allerdings weniger im Gegensatz zum Menschen als im Einklang mit ihm. Zerreißt man Spinnennetze indem man hindurchgeht, ziehen sie neue Fäden. Sie klagen nicht und geben auch niemals auf, sondern flicken ihr Netz wieder, weil sie gar nicht anders können - tagein, tagaus. Dieser Beharrlichkeit wohnt etwas Kraftvolles inne, was mich inspiriert. Manchmal stelle ich mir Insekten als Götter vor, weil sie auf diesem Planeten weit effektiver schalten und walten als wir. Man sollte als Mensch mehr wie eine Spinne sein.
Ach, und noch etwas: Ich besuchte einmal eine Lesung des Schriftstellers und Professors Michael Pollan ("Das Omnivoren-Dilemma" - Anm.), wo mir langweilig wurde. Da sah ich eine Spinne , die sich langsam und gedulig vom Genick zum Schädel des Kerls vor mir hocharbeitete. Dann gab sie einen Faden ab, einfach so in die Luft, erst einen Zoll, dann zwei, schließlich einen Fuß lang, woraufhin sie davonsegelte. Ich war begeistert und neidisch, was den Text am Ende des Songs erklärt. Nehmt mich beim Wort oder fasst es symbolisch auf, egal.

Sam: Im Grunde genommen ist es eine Reflexion der Probleme unserer Gesellschaft und Spezies bei gleichzeitiger Wertschätzung der Schön- und Schlichtheit der Existenz.

"Ancient" klingt da schon desillusionierter.

Der erste Teil ist aber eine Eloge auf meine Arbeit und Lebensweise .Ich bin Zimmermann, baue selbst Lebensmittel an und mache Musik von Hand. Zuweilen betrinke und prügle ich mich, klettere auf Gebäude, Bäume und was nicht alles noch. Das Dasein füllt mich aus, kann aber auch schmerzhaft sein. Ich bin fasziniert von seinen Widersprüchlichkeiten. Mit dem Text rekapituliere ich Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein, gleichzeitig aber auch den ratlosen Menschen der Moderne. Ich könnte körperlich in besserer Verfassung sein, aber na ja ... Körper sind da, um benutzt zu werden, daher auch der Part von wegen "puny humans". Es geht darum, sich vom gegenwärtigen Leben zu distanzieren, wie es die Technokratie vorgibt. Es ist schwierig, sich nicht schuldig zu fühlen dafür, dass der Mensch die Erde zerstört. Wenn ich "here I am weighted again" singe, bedeutet dies, dass ich versuche, meine Seele von mir selbst zurückzuerlangen. Ich machte beim Schreiben eine sehr schwierige Zeit durch und meditierte deswegen viel. Dabei erschienen mir Götterwesen, die mich auseinandernahmen und wieder zusammensetzten. Sie waren ein Teil von mir, und ich konnte zusehen sowie mit ihnen interagieren, während sie sich an mir zu schaffen machten: Es war eine Heilung, ein Wiederaufbau.
Diese metaphysische Reise prägt einen großen Teil meiner Texte. Ich habe mich auch schon über das Verhalten von Flammen im Vakuum ausgelassen, nachdem ich irgendwann einmal davon las. Gedanken an sphärisches, unkontrollierbares Feuer verbanden sich mit dem, was ich in einem anderen Buch fand, Theorien über den Anbeginn des Universums und so weiter. Den Zyklus aus Urknall, Ausweitung, Neuordnung und neuerlicher Auflösung, von dem man im Zusammenhang mit der Entstehung des Alls ausgeht, wollte ich seinerzeit quasi in mir selbst simulieren.

"Light Does Not Get Old" und "Shadow and Substance" sind mir völlig schleierhaft.

Beide knüpfen dort an, wo die vorigen Texte aufhörten, aber "Light" umfasst meine persönliche Sicht auf die Bürde des Daseins, die wir alles tragen müssen. Der Fokus liegt dabei jedoch auf dem zuversichtlichen Weiterleben im Angesicht der Ungerechtigkeit des frühzeitigen Todes junger Menschen. Davon abgesehen mache ich mir viele Gedanken um Lebensenergie und -kraft beziehungsweise den Zusammenhang von Leben, Tod und Spiritualität.

Könnt ihr euch vorstellen, einen alleinigen Sänger einzuspannen?

Nein, wir brauchen niemanden, der die Hände beim Singen frei hat. Wir nennen diese Leute Hotdog-Fresser ... Nein, im Ernst, Sam und ich, wir nehmen unsere Worte sehr ernst, und ich persönlich bin froh, endlich ein Ventil für mein Grübeln zu haben. Außerdem - und das ist das Wichtigste - geht es uns zuerst um die Musik. Gesang ist Nebensache. Ich schreibe meine Lyrics erst, wenn die Musik grob steht, aber es stimmt schon: Wir sind keine Goldkehlchen. Mal sehen, was die Zukunft bringt.

Gutes Stichwort!

Ja, wir würden gerne mehr aus der Band machen, aber ich glaube, mit dieser Musik stehen wir ziemlich beschränkt da. Europa zu besuchen steht auf unserer Wunschliste, doch zuerst kommt ein neues Album. Scheiß auf Ruhm und Geld, wir brauchen nur eine warme Bleibe und etwas zu Essen, ob hier oder in Übersee. Hoffentlich bewegt sich was für uns; wir machen einfach so weiter wie bisher.

Ich danke euch für eure Zeit, das war wirklich skurril.

Murat: Ich danke dir. Wir sehen uns vielleicht irgendwann persönlich, wer weiß?

Andreas Schiffmann (Info)
Alle Reviews dieser Band: