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Steven Wilson: 4½ (EP) (Review)

Artist:

Steven Wilson

Steven Wilson: 4½ (EP)
Album:

4½ (EP)

Medium: CD/LP+CD/Blu-ray
Stil:

Progressive Rock

Label: kscope
Spieldauer: 37:10
Erschienen: 22.01.2016
Website: [Link]

Mag sich STEVEN WILSON hier womöglich als Anhänger Frederico Fellinis ausweisen? Der italienische Regisseur hatte sein Werk aus dem Jahr 1963 „8½“ getauft, weil es sich nach eigener Zählung (zuvor sechs Spielfilme, zwei Anthologiebeiträge und eine Co-Regie) um seinen achteinhalbten Film handelte. Die autobiografische Selbstreflexion entpuppte sich schließlich als dekonstruktivistisches Meisterwerk, obwohl sie eigentlich aus einer Sinnkrise des Regisseurs entstand, da ihm keine Stoffe mehr einfallen wollten.

Vorwürfe, die einem STEVEN WILSON angesichts seines nach wie vor unermüdlichen Arbeitspensums auch gerne gemacht werden, wenngleich sie von der permanent ansteigenden Popularität des Musikers konterkariert werden. Nun sind die Bedingungen hier natürlich etwas anders: „4½“ ist das Halbe selbst und nicht etwa ein Ganzes, das auf etwas Halbes folgt; und von einer Sinnkrise ist derzeit noch nichts zu spüren.

Mit Dekonstruktivismus haben die 37 Minuten neuen Materials aber dennoch viel zu tun, wie übrigens fast alle früheren EPs aus dem Bestand des Briten – beispielsweise PORCUPINE TREEs „Nil Recurring“, dessen „Normal“ immer noch ein Musterbeispiel dafür darstellt, wie der Künstler trotz des bedingungslosen Fortschritts immer mal wieder seine jüngste Vergangenheit besucht und ummodelliert. Oder die Neuaufnahme von „Lazarus“ auf der letztjährigen Kompilation „Transience“, ein Stück, das vor zehn Jahren als Fehlentwicklung in die Fänge der gemeinen Popmusik galt, seit einiger Zeit jedoch ins Live-Repertoire zurückgekehrt und dort zu neuem Glanz erstrahlt ist.

Was man also von „4½“ erwarten kann, ist nicht etwa ein neuer Schritt in die Zukunft mit vollwertigem Konzept. Unverständlicherweise scheinen ja mancherorts Erwartungen an vollständige Homogenität vorzuherrschen, an ein nagelneues Album aus einem Guss. Nein, vielmehr geht es um eine Bestandsaufnahme und die Wertschätzung für jenes Material, das in den vergangenen zwei, drei Jahren aus rein konzeptionellen Gründen auf dem Schneidetisch liegen geblieben ist.

Die Suche nach komplett neuen Klangerlebnissen wird also weniger belohnt, dafür aber jene nach geschickten Variationen des Bekannten umso mehr. Was ist beispielsweise „My Book Of Regrets“ für ein großartiger Song an und für sich. Ein komplex arrangierter Zehnminüter, der diverse Wilson-Trademarks so geschickt arrangiert, wie es eben nur in der Macht des Originalarchitekten liegt. Ein umwerfend markantes Solo von Dave Kilminster bleibt speziell in Erinnerung, danach beruhigen sich die Wogen auf eine Weise, die Kurzzeitnostalgie für eine Zeit vor fünf bis zehn Jahren auslöst. Die insgesamt sehr optimistische Ausstrahlung des Stücks legt nahe, weshalb es nicht in das melancholische Gerüst des letzten Albums gepasst hätte, doch seiner Relevanz nimmt diese Nichtberücksichtigung nichts. Eine neuerliche Reprise von „Time Flies“ („The Incident“, PORCUPINE TREE), welches selbst bereits ganz direkt auf PINK FLOYDs „Dogs“ verwies, mag man nun als Einfallslosigkeit bezeichnen, die der hohen Masse an Veröffentlichungen geschuldet ist, oder aber man begreift sie als autoreferentielles Experiment – in jedem Fall ermöglicht es das Einfinden in die Denkweise Wilsons im besonderen Maße.

„Happiness III“, das bereits vor 13 Jahren geschrieben und während der Entstehung des letzten Albums aufgenommen wurde, überzeugt mit einem kräftigen Refrain und der Pianobegleitung Adam Holzmans, der einen Hauch von 90er-Hard-Rock-Balladenarrangement einbringt. Das lebensbejahende Flair setzt sich hier fort. Vom düster-jazzig-metallischen „Vermillioncore“ kann man das dann nicht mehr behaupten. Es mag nicht ganz so sehr eine Einheit mit den anderen beiden Vorzeigestücken ergeben, bildet aber nicht minder starkes Songmaterial. Die schräg getaktete Bass- und Gitarrenlinie erinnert an das süchtig machende Muster des letztjährigen „Ancestral“, Holzmans Surroundings eher an die Phase um „Grace For Drowning“.

Die Instrumentals „Year Of The Plague“ und „Sunday Rain Sets In“ dürften angesichts der Stärke dieser drei Stücke im größeren Maße übergangen werden, werden aber dienlich jeweils zwischen die Highlights gesetzt und sind zur Bildung von Atmosphäre ähnlich maßgeblich wie etwa das fast unsichtbare „The Yellow Windows Of The Evening Train“ auf „The Incident“, „Belle De Jour“ auf „Grace For Drowning“ oder „Perfect Life“ auf „Hand. Cannot. Erase“.

Zum Abschluss dann noch „Don’t Hate Me“, ein nach meinem Empfinden im Original immer etwas zu weinerliches, dennoch ausdrucksstarkes Stück vom 1998er Album „Stupid Dream“. Der Weinerlichkeitseffekt wird stark dadurch gemindert, dass nun Ninet Tayeb den Refrain beisteuert, was die Neuaufnahme gefälliger klingen lässt, zumal der Solopart nun wesentlich ausgefeilter klingt. Nach intensiven Sessions blieb das Original schließlich aber doch mit den tieferen Eindrücken zurück, denn „Don’t Hate Me“ ist ein Song, der ein wenig Hässlichkeit braucht, um die Verletzlichkeit überzeugend herauszustellen.

FAZIT: Obwohl die EP zwischen Album Nr. 4 und Nr. 5 keine geringere Klasse aufweist als das Material, das es in die Hauptwerke geschafft hat, müssen sich Halbinteressierte von STEVEN WILSONs Ergebnissen vielleicht zweimal überlegen, ob sie sich hiermit befassen, um sich den Zauber des Besonderen zu erhalten. Für alle anderen stellt sich eine solche Frage gar nicht – klar ist „4½“ Pflichtprogramm, wenn man ansatzweise verstehen will, woher die Inspiration für Werke wie „Hand. Cannot. Erase“ oder „The Raven That Refused To Sing“ kommt.

Informationen zur Veröffentlichung: Besprochen wurde die Vinyl-Ausgabe im ausgestanzten Sleeve inklusive mp3- oder FLAC-Download. Ebenso wurde das Ganze auf CD veröffentlicht. Auf der Blu-Ray-Audio sind indes noch Bonustracks enthalten, die an dieser Stelle nicht berücksichtigt wurden:
Lazarus (2015 recording)
My Book Of Regrets (edit)
Don`t Hate Me (SW vocal version)
My Book Of Regrets (instrumental)
Happiness III (instrumental)
Don`t Hate Me (instrumental)

Sascha Ganser (Info) (Review 5821x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • My Book Of Regrets
  • Year Of The Plague
  • Happiness III
  • Sunday Rain Sets In
  • Vermillioncore
  • Don't Hate Me

Besetzung:

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