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Interview mit WULFAZ (31.10.2020)

WULFAZ

Runen gelten nicht wenigen wegen ihres Missbrauchs als besudelt und in künstlerischen Kontexten kaum noch als verwertbar, bestenfalls als nordischer Kitsch für hinterwäldlerische Trottel im ewiggestrigen Heavy Metal. Dass die Schriftzeichen überraschend authentisch aufgegriffen und noch überraschender sogar mit punkiger Wucht schwermetallisch interpretiert werden können, hat das Duo WULFAZ bereits auf zwei hörenswerten EPs bewiesen. Die Dänen lassen es nicht nur amtlich krachen, sondern können über ihren Runic Black Metal eloquent Auskunft geben. Wir ließen uns die Gelegenheit zu einem Plausch mit Simon (Schlagzeug und Gesang) nicht entgehen.

Hi Simon, schön, Dich zu sprechen! Dieser Tage trudeln die ersten Rezensionen Eurer zweiten EP "Sotes Runer" ein, und ich habe erst kürzlich ein recht lustiges Review auf einer dänischen Webseite gefunden. Seid Ihr mit dem Echo und natürlich mit der EP, die bislang als Tape und als Download erhältlich ist, zufrieden?

Ja, schön, mit Dir zu reden. Ich denke, "Sotes Runer" wurde in Dänemark und anderswo bislang gut besprochen – abgesehen von Rezensionen, deren Verfasser einfach nicht verstanden haben, worum es bei WULFAZ geht. Viele der Rezis gehen stark auf den Crust-Aspekt unserer Musik ein, einige andere beschäftigen sich auch mit den Texten und dem Konzept unseres Runic Black Metal. Natürlich ist es in Ordnung, sich beiden Perspektiven zuzuwenden. Wir haben neben Dänemark bisher aus Italien, Deutschland und den USA gute Rückmeldungen erhalten, und das bestärkt uns, auf dem eingeschlagenen Weg zu bleiben und die Reise darauf fortzusetzen. Die derzeitige Pandemie verhindert natürlich, dass wir diese Länder heimsuchen und dort auftreten, doch wenn diese Plage vorüber ist, werden wir hoffentlich das Glück haben, uns zunächst Europa zuzuwenden.

In musikalischer Hinsicht finden wir in WULFAZ' Musik unverkennbar norwegische Einflüsse, allerdings ziemlich frisch und rau interpretiert. Vor allem die Viking-Metal-Einsprengsel erinnern an jene Bands mit einem grimmigen dunklen Klang – und nicht an die fröhlichen Komm-trink-und-tanz-mit-mir-Folk-Metal-Gruppen, die dem Genre einen zweifelhaften Ruf einbrachten. War es Euch von Anfang an wichtig, diesen rauen Sound zu verwirklichen? Mit welchen Zielen wurde WULFAZ ins Leben gerufen und welche Rolle spielte dabei "Nattens Madrigal"?

Seit jeher haben wir WULFAZ als Band verstanden, die sich auf den Norwegischen Black Metal besinnt, allerdings mit einer deutlich punkigen Note. Darkthrone und Taake sind ebenso klar erkennbare Einflüsse wie natürlich Bathory aus Schweden, und auch "Nattens Madrigal" hat Pate gestanden, und zwar vor allem mit seiner kompromisslosen und unbarmherzigen Produktion. Auch die frühen Alben von Enslaved haben uns inspiriert, wobei ich der Ansicht bin, dass Enslaved bislang verdammt wenig falsch gemacht haben. Auch die schwedische Crust- und Grind-Szene ist nicht spurlos an uns vorbeigezogen, sondern Bands wie Martyrdöd und Skitsystem haben ihren Anteil an unserem Sound ebenso wie die frühen Stockholm-Death-Metal-Recken, deren erhabenste Vertreter Nihilist und Entombed waren. Das erklärt also unseren punkig-crustigen Einschlag. Neuere Black-Metal-Bands wie Wiegedood, Der Weg einer Freiheit oder unsere Landsleute Solbrud haben uns gezeigt, wie Riffs mit neuem Schwung klingen können.

Eure Debüt-EP "Eriks Kumbl" macht auf mich den Eindruck einer typischen ersten Veröffentlichung mit ihrem Faust-in-die-Fresse-Sound. In der Zwischenzeit habt Ihr Euren Sound weiterentwickelt, ohne dass er jetzt zu "progressiv" klingt. Was habt Ihr in der Folge von “Eriks Kumbl” gelernt, und inwiefern habt Ihr Euch bewusst dazu entschlossen, auf "Sotes Runer" ein wenig ausgefeiltere Songs zu präsentieren?

Die Songs auf "Eriks Kumbl” entstanden während der ersten zwei, drei Proben und versprühen daher diese ungezügelte kreative Energie unserer ersten Tage als Band. Als wir diese Songs aufnahmen, hatten wir sie bis dahin noch nie vor einem Publikum zum Besten gegeben. Die anderen Songs auf "Sotes Runer" hatten mehr Zeit, sich zu entwickeln, und vor allem ihre Live-Darbietung hat sie im Songwriting reifen lassen. Als Jazz-Gitarrist bringt Malthe eine gewisse Aufmerksamkeit für Komposition und Klang mit, und diese Kompetenz hat er auf "Sotes Runer" stärker eingebracht als noch auf "Eriks Kumbl" - was unseren Riffs einmal mehr etwas Frisches im Hinblick auf ein eher altes Genre verleiht. Der Track "Sotes Runer" hingegen entstand während einer einzigen Probe und verbindet auf perfekte Weise die Impulsivität unseres ursprünglichen Songwritings mit unserer Konzerterfahrung als Band, welche die ersten Schritte hinter sich gelassen hat.

Und eben jener Song erweist sich als fieser Ohrwurm: primitiv, rau, mit ziemlich tollen Hooks und somit unwiderstehlich. Angenommen, Ihr hättet die Möglichkeit, ein Video dafür aufzunehmen, wie würde es aussehen?

Danke, wir haben zu unserer eigenen Überraschung herausgefunden, dass es sich so verhält, wie du beschreibst. Wie ich bereits erwähnte, haben wir an den beiden anderen Liedern länger herumgefeilt, indem wir sie einige Male live gespielt und dabei verfeinert haben. Wir haben sie quasi immer mehr ins Herz geschlossen, wenn man so möchte. "Sotes Runer" haben wir in einer kurzen Zeitspanne geschrieben, bevor es ins Studio ging, und daher haben wir nicht so viel in diesen Song investiert wie in die anderen Lieder. Doch während die Zeit verging, wuchs der Song zu stattlicher Größe heran und zeigte uns, dass weniger manchmal mehr sein kann – auch im Black Metal. Wir haben uns noch nicht über ein Vdieo unterhalten, doch ich kann mir etwas ähnliches vorstellen wir das – meines Wissens nach bislang einzige offizielle – Video zu "Transilvanian Hunger": Eine Winterwanderung durch den Schnee, vielleicht um den Runenstein von Glavendstrup herum, der auf dem Cover von "Sotes Runer" zu sehen ist?

Im vergangenen Sommer habe ich die schöne Insel von Møn besuchen dürfen, ergo so einige Orte von historischer Bedeutung erkundet. Als mein Blick auf das Cover von "Sotes Runer" fiel, fühlte ich mich gleich an diese gewisse Atmosphäre erinnert, welche solche Orte umgibt, gleichwohl ich nicht in Glavendstrup selbst vor Ort war, das auf einer anderen Insel liegt. In meiner Heimat Nordrhein-Westfalen muss ich mich leider an Niedergang und die Vermüllung öffentlicher Plätze gewöhnen, und umso erstaunter war ich in Dänemark, in welch gutem Zustand viele der von mir besuchten historischen Stätten waren, so als ob sie gepflegt würden und immer noch eine lebendige Verbindung zur Geschichte auf der eigenen Türschwelle bestünde. Inwiefern lag es für Euch nahe, eine EP aufzunehmen, die auf der Inschrift eines Runensteins gründet, und wie schätzt Du die allgemeine Wahrnehmung von Runensteinen, Grabhügeln und ähnlichen Orten in Deinem Land ein?

Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen diese historischen Stätten in Dänemark respektieren, und das ist ziemlich phantastisch. In WULFAZ bin in erster Linie ich für das Konzept, die Texte und das ganze Drumherum zuständig. Ich beschäftige mich täglich mit dem Zeitalter der Wikinger und habe einen Doktor in vorchristlicher nordischer Religion. Als wir die Ausrichtung der Band festlegten, entschieden wir uns ganz bewusst dafür, uns auf die Inschriften von Runensteinen zu beziehen. Das geht bereits bei unserem Namen los: Das Wort WULFAZ ist auf einer kleinen Anzahl von Runensteinen in Istaby, Gummarp und Stentoften im heutigen Blekinge in Schweden zu lesen. Die Runeninschriften haben bei uns also von Anfang an eine Rolle gespielt. Unsere Debüt-EP "Eriks Kumbl" basierte auf einigen Runensteinen in Südjütland, also dem ursprünglichen Dänemark, von dem heutzutage ein Teil in Norddeutschland liegt; eine Verbindung unserer gemeinsamen Geschichte, die wir in der Musik ebenso reflektieren wie in der Art und Weise, wie Runensteine eingeordnet werden – nämlich geographisch. Zwei der Inschriften, die wir für "Eriks Kumbl" aufgriffen, sind sehr kurz: Die eine nennt nur den Namen Hærulf, und die andere, die auch auf dem EP-Cover auftaucht, benennt “Eriks Kumbl”, also die Monumente Eriks. Für die neue EP nahmen wir uns vor, eine längere Inschrift aufzugreifen und zu schauen, ob wir eine Übersetzung derselben für uns nutzen können, anstatt quasi einen Text um die Inschrift herum zu schreiben. Das war so eine Art künstlerische Aufgabe oder Herausforderung. Wir wandten uns als erstes der längsten Inschrift in Dänemark zu, die auf dem Stein von Glavendrup zu finden ist. Wir erkannten, dass diese beinahe formelhafte Inschrift sich als Songtext durchaus andiente. Auf diesem Stein wird eine Frau namens Ragnhild erwähnt, welche den Stein gemeinsam mit ihren Söhnen für ihren verstorbenen Mann namens Alle errichtete. Auch der Mann, der die Runen in den Stein trieb, wird erwähnt. Sein Name war Sote. Interessanter Weise werden diese beiden Männer auch auf einem anderen Stein erwähnt, und zwar dem Stein von Tryggevælde, der sich derweil im Nationalmuseum in Kopenhagen befindet. Der Songtext eines anderen Lieds fußt wiederum auf der Inschrift dieses Steins, den ebenfalls Ragnhild bei Sote in Auftrag gegeben hatte, dieses Mal für ihren Ehemann Gunulf. Sote selbst errichtete auch für seinen Bruder Eilif einen Stein, und somit hatten wir den Text für den Titelsong. Dafür haben wir auch eine kleine Geschichte dazu geschrieben über den umherziehenden Sote, der Ragnhild und ihren Ehemännern durch Dänemark folgte, um für sie die Runen zu ritzen. Unsere Vorgehensweise, diese Runeninschriften vergleichsweise originalgetreu auf "Sotes Runer" wiederzugeben, verleiht diesen Menschen aus der Wikinger-Zeit eine neue Stimme durch unsere Kunst.

Kürzlich ist mir mal wieder bewusst geworden, welch bemerkenswerter Druck auf der Geschichtswissenschaft liegt, Ergebnisse abzuliefern, welche den zeitgenössischen „politisch korrekten“ Kanon nicht in Frage stellen. Das führt dazu, dass wir vor allem in populären Medien zum Beispiel phantastische Spekulationen über Wikinger-Kriegerinnen lesen können, die eher auf heutigen Gleichberechtigungs-Agenden als auf seriöser Forschung gründen. Wie nimmst Du das wahr und inwiefern freust Du Dich über die künstlerische Freiheit in einem so punkigen Projekt wie WULFAZ?

Als Wissenschaftler bin ich mir absolut im Klaren darüber, dass die Wissenschaft und die Gelehrten auf den Schultern sowohl der Vergangenheit als auch unserer Zeit und ihrer aktuellen kulturellen Agenda stehen. Was den von dir genannten Fall angeht, handelt es sich dabei ja um das Grab in Birka, das mit zahlreichen Waffen ausgestattet war und von dem bis vor kurzem immer vermutet wurde, dass es einen hochrangigen Krieger beherbergte. Doch DNA-Analysen haben kürzlich offenbart, dass es sich bei dem Skelett um die Überreste einer Frau handelte. Das hat zu vielen Diskussionen geführt, denn es bricht mit der romantischen Vorstellung von ausschließlich männlichen Wikinger-Kriegern. Allerdings passt es wiederum gut zu vielen mittelalterlichen Quellen, in denen davon die Rede ist, dass auch Frauen zu kämpfen verstanden. Zudem kennen wir Beispiele für "gegensätzliche" Grabfunde. So wurde im schwedischen Valsgärde ein Skelett mit Grabbeilagen gefunden, die typischerweise auf eine Frau hindeuten, wie Juwelen und Saatgut, doch handelte es sich um die Gebeine eines Manns. Vielleicht sollten also die Gender-Rollen und Kategorien in der Wikinger-Ära neu in Augenschein genommen werden? Das schlägt jedenfalls die Forschung vor. Natürlich lässt sich kritisieren, dass solche Forschung auf modernen kulturellen Konstruktionen fußt, doch das war immer der Fall. Wir würden heute nicht über die Wikinger und „ihre“ Zeit sprechen, wenn nicht ein Forscher im 18. Jahrhundert diesen Begriff geprägt hätte, und zwar vor seinem zeitgenössischen, sprich: romantischen Hintergrund und dessen Rollenverständnis von Gendern.
Was die künstlerische Freiheit anbelangt, so versuche ich, mich möglichst nah an die Fakten zu halten und die Wikinger-Zeit präzise zu beschreiben. Allerdings ist ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit unabdingbar, um eine spannende Geschichte erzählen zu können. Mir gefällt dieser "Clash" eines nüchternen akademischen Diskurses mit rauem punkigen D-Beat Black Metal - das sind wie gesagt ja auch jene beiden Aspekte, die in Reviews immer wieder im Fokus stehen.

Lustigerweise haben wir dieses Jahr unser erstes frisch gezapftes Bier im Sommer im Biergarten des Pumpehuset in Kopenhagen getrunken, was daran lag, dass wir vorher wegen Corona und den damit verbundenen Restriktionen noch kein Festival oder Open Air Konzert besucht hatten. Im November werdet Ihr genau dort zusammen mit Offermose und Afsky auftreten. Ole Luk von Afsky hat zum Titelsong Eurer EP einige Guest Vokills beigesteuert. Mit welchen Gefühlen blickt Ihr den Konzerten am Ende dieses verrückten Jahres entgegen?

Genau in diesem Hof, Byhaven, haben wir im Mai vergangenen Jahres auf dem Udgårdsfest(ival) auf der kleinen Open-Air-Bühne gespielt. Wir können es kaum erwarten, wieder auf die Bühne zu gehen, und freuen uns, dass wir auf einer so großen Bühne in diesem Club spielen dürfen. Wir sind Ole dankbar, dass er uns eingeladen hat. Mit "Ofte Jeg Drømmer Mig Død" haben Afsky eines der besten Black-Metal-Alben des Jahres veröffentlicht, hatten jedoch bislang keine Chance, es den Leuten live zu präsentieren - wir freuen uns darauf, das zu erleben! Ich bin mal gespannt, wie es sich anfühlt, vor einem sitzenden Publikum zu spielen. Unsere Musik ist ja recht energisch, punkig und in die Fresse, und es wird auf jeden Fall anders sein, wenn dieses Mal keine moshende Menge unsere Energie zurückwirft. Doch vielleicht ist es auch gar nicht so großartig anders als vor einem Metal-Publikum zu spielen, das mit verschränkten Armen und Bier in den Händen einfach nur rumsteht, so wie es ehrlich gesagt viele Support Bands erleben, haha.

Was können wir sonst noch von WULFAZ erwarten, und arbeitet Ihr bereits an einer weiteren EP, oder überlegt Ihr sogar, ein Langspielalbum aufzunehmen?

Wir arbeiten tatsächlich an einem Langspielalbum, denn wir denken, das ist der nächste logische Schritt für uns. Doch wir sind noch nicht weit vorangekommen. Wir haben bisher ein lockeres Konzept, das einmal mehr vor allem auf Runen-Inschriften gründet. Der Stil wird sich nicht groß ändern, doch vielleicht achten wir darauf, die Energie und Impulsivität von "Eriks Kumbl" anzustreben. Außerdem beschäftigen wir uns gerade damit, eine Veröffentlichung unserer EPs auf Vinyl zu realisieren, und das geht gut voran - was uns selbst ziemlich freut!

Konzertphoto: Hvergelmir Photography

Bandphoto: Tobias Lauridsen

Photo vom Runenstein in Glavendrup: Danielle Keller / Wikipedia

Thor Joakimsson (Info)
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