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The Nerve Institute: Architects Of Flesh Density (Review)

Artist:

The Nerve Institute

The Nerve Institute: Architects Of Flesh Density
Album:

Architects Of Flesh Density

Medium: CD
Stil:

Progressive / Avantgarde

Label: Altrock/Just For Kicks
Spieldauer: 56:52
Erschienen: 10.06.2011
Website: [Link]

THE NERVE INSTITUTE als Zwischenstation zu interpretieren, scheint angebracht zu sein angesichts der Tatsache, dass Solomusiker Mike Judge sich hiermit nach THE WOLF TICKETS, JERUSALEM und SINTHOME nun mindestens das vierte Pseudonym zugelegt hat. Zeugnis von Selbstunzufriedenheit oder doch eher eines ausgeprägten Weiterentwicklungsdrangs? Beides trifft wohl irgendwo zu; Judge selbst behauptet, von seinen alten Veröffentlichungen seien nur die beiden unter dem Emblem SINTHOME noch empfehlenswert, „Ficiciones“ nämlich und das Brücken zu David Lynchs „Eraserhead“ schlagende „A Woman Has Given Birth To A Calf’s Head“. Neben dem aktuellen Erzeugnis, versteht sich.

Inspiriert sieht er sich derweil insbesondere durch FRANK ZAPPA, THE MARS VOLTA, HENRY COW, UNIVERS ZÉRO und THIS HEAT, aber auch Vertreter poststrukturalistischer Literatur wie William S. Burroughs, Jorge Luis Borges oder Thomas Pynchon hätten ihn beeinflusst. Nebenher ist der Multiinstrumentalist übrigens tätig als Schriftsteller; derzeit arbeitet er an einer sechsteiligen Romanreihe.

Die multimediale Interessiertheit nimmt man Judge auf Anhieb ab. Sein aktuelles Werk, mit dem sezierenden Titel „Architects Of Flesh Density“ benannt, fühlt sich nicht an wie ein Album, das um der Musik willen aufgenommen wurde; eher klingt es wie dem Ziel untergeordnet, Progression anzustreben; ganz gleich, ob es nun eine Gitarre oder ein Füllfederhalter ist, der ihm dabei als Instrument dient.

Alleine logistisch liegt hier nichts anderes als eine Meisterleistung vor. Judge hat nicht einfach nur in Eigenregie einem kompletten Album zur Geburt verholfen, es ist dabei auch noch von einer instrumentellen Vielfalt gezeichnet, die absolut nicht alltäglich ist. In vollkommener Symbiose ergänzen sich etwa Klavier, Rhodes und Wurlitzer untereinander, ein Mellotron verströmt seinen tief ins Mark reichenden Klang und Banjo, Clavinet, Mandoline, Saxofon und Orgel ergänzen das Ensemble.

Geprägt ist das Album trotzdem von einer klinisch kalten Grundstimmung, die durch den schemenhaften und brüchigen Gesang hervorgehoben wird. Einem liedhaften Zugang im Sinne des Chanson verwehrt sich alles an den sieben Titeln, im Vordergrund steht tatsächlich eher das Auskundschaftende der avantgardistisch gehaltenen rhythmischen Figuren, die körperlos im Raum schweben und selbst der Erkundungsgegenstand sind, den sie eigentlich tragen sollten. Der „dadaistische Humor“, den Judge an Zappa bewundert, legt sich gerade in der Vorenthaltung von Ankern wie Refrains oder sonstigen wiederkehrenden Strukturen nieder. Die oft rasend schnell gesungenen Strophen täuschen etwas zum Festhalten vor, sind aber schneller wieder fort als sie aufgetaucht sind. Dann treten die Notenfolgen nach THE MARS VOLTA-Erbe vor, stiften Verwirrung und entführen ins surreale Wunderland.

Dass Judge gerade als Einzelkämpfer auf dem Gebiet des Avantgardismus, dem er sich annähert, kaum mehr unerschlossenes Gebiet aufdecken kann, führt ihn auf die postmoderne Ebene, die ihn mit seinen bevorzugten Autoren verbindet. „Architects Of Flesh Institute“ zu hören ist so, wie heute Luis Buñuels und Salvador Dalís surrealistischen Kurzfilm „Ein andalusischer Hund“ von 1929 zu sehen: Eine Provokation, die im Zeitalter der Reizüberflutung normalerweise kein Schulterzucken mehr hervorrufen dürfte, aber dann ihren sensationellen Effekt entfaltet, wenn man die Wirkung im entsprechenden Kontext beurteilt.

FAZIT: Chapeau an das Mailänder Label Altrock dafür, immer wieder Künstler mit solcher Vielschichtigkeit an Land zu ziehen und sich damit auf den Markt zu wagen. Das sollte eigentlich belohnt werden. Wie die meisten Einzelgängerprojekte ist zwar auch Mike Judges THE NERVE INSTITUTE in Gefahr, zu autonom zu klingen, aber einmal darauf eingelassen, die Fleischfasern Querschnitt für Querschnitt zu studieren, einmal nur die Erwartungen an einen „Song“ im ursprünglichen Sinn fallen gelassen, bekommt man zappaistische Artenvielfalt in Form eines unvorgekauten Brockens Fleisches aus dem Kühler, das man sich selbst zerlegen muss.

Sascha Ganser (Info) (Review 3813x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
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Tracklist:
  • Horror Vacui
  • Prussian Blue Persuasion
  • Tooth & Flea Korowód
  • Die Neue Moritat...
  • "La Jalousie"
  • Hadassah Esther Cruciform
  • Bande Magnétique... At The Ossuary

Besetzung:

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